Ein Gespräch mit Potenzial-Expertin Ursula Franke über Entwicklung, Tiefe – und eine Analysemethodik, die wirklich aussagekräftig ist.
Wie erkennt man das Potenzial eines Menschen, bevor es im Alltag sichtbar wird? Was unterscheidet eine fundierte Potenzialanalyse von gängigen Persönlichkeitstests? Und wie kannst du selbst lernen, Potenziale professionell zu erkennen und Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten?
Debora Karsch hat auf der persolog® HR-Konferenz mit Ursula Franke, Psychologin und Geschäftsführerin der commma Personalentwicklung GmbH, genau darüber gesprochen. Aus dem intensiven Gespräch entstand die Idee zur Ausbildung zum Potenzial-Scout – ein praxisnahes, psychologisch fundiertes Format für Coaches, HR-Profis und Führungskräfte.
Debora Karsch: Ursula, wie bist du zur Potenzialanalyse gekommen?
Ursula Franke: Am liebsten würde ich sagen: Ich bin morgens aufgewacht und wusste es einfach – aber so war es natürlich nicht. Ich bin im Laufe meiner Arbeit hineingewachsen. Was mich gehalten hat, ist die Faszination für das Thema. Es bietet die Möglichkeit, in die Tiefe zu gehen, Menschen zu berühren, Prozesse in Bewegung zu bringen – ähnlich wie im therapeutischen Kontext, aber eben im unternehmerischen Rahmen.
Debora Karsch: Was bedeutet Potenzial für dich?
Ursula Franke: Potenzial ist das, was jemand in sich trägt – auch wenn es noch nicht sichtbar ist. Es sind Möglichkeiten, Talente, Anteile, die vielleicht noch nicht zur Entfaltung gekommen sind. Führungskräfte spüren oft: „Da steckt mehr drin.“ Die Frage ist dann: Wohin kann es sich entwickeln? Und was braucht es dafür?
Debora Karsch: Und was verstehst du unter Entwicklung?
Ursula Franke: Entwicklung beginnt da, wo Klarheit über das Potenzial entsteht. Sie ist der Weg, der auf die Analyse folgt. Für mich ist es wichtig, ein präzises Bild zu zeichnen und eine fundierte Empfehlung abzugeben. Die Umsetzung – also die Entwicklung – liegt dann bei HR, den Führungskräften oder im Coaching.
Debora Karsch: Kann man das volle Potenzial eines Menschen überhaupt jemals komplett entfalten?
Ursula Franke: Ich glaube, das hört nie auf. Nach über 30 Jahren Berufserfahrung und über 60 Jahren Lebenserfahrung würde ich sagen: Es gibt immer noch etwas zu entdecken, gerade bei Themen wie Führung, die so viele Facetten haben. Potenzial ist nie „fertig“ ausgeschöpft. Und genau das macht es so spannend.
Debora Karsch: Wie unterscheidet sich eine Potenzialanalyse von einer Persönlichkeitsanalyse?
Ursula Franke: Beides ist Persönlichkeitsanalyse, aber in unterschiedlicher Tiefe. Eine Potenzialanalyse geht tiefer. Es geht nicht nur darum, wie du dich im Alltag verhältst, sondern auch um die Frage: Warum reagierst du so? Welche Motive, Emotionen oder Prägungen stecken dahinter? Ich sehe meine Arbeit als ein sehr individuelles Puzzle, bei dem sich viele kleine Eindrücke zu einem stimmigen Gesamtbild zusammensetzen.
Debora Karsch: Wie läuft eine Potenzialanalyse bei dir ab?
Ursula Franke: Ich gehe völlig unvoreingenommen ins Gespräch. Ich weiß vorher nichts über die Person. In einem etwa dreistündigen Interview spreche ich mit ihr über die aktuelle Rolle, schwierige Situationen und ihre Sichtweise darauf. Ich frage nach, reflektiere mit der Person und vertiefe bestimmte Themen. Es geht darum, herauszufinden, was Menschen innerlich antreibt – und was sie möglicherweise ausbremst.
Ein Beispiel: Ein Mitarbeiter wollte unbedingt Führungskraft werden, aber im Interview wurde klar, dass er kaum Zugang zu zwischenmenschlichen Dynamiken hatte. Am Ende gab es keine Empfehlung für eine Führungsrolle – aber konkrete Hinweise zur Weiterentwicklung.
Debora Karsch: Wie schaffen es Menschen, in diesem Prozess offen zu sein? Das ist doch auch eine große emotionale Belastung.
Ursula Franke: Durch echtes Interesse und Zeit. Drei Stunden sind intensiv, aber sie ermöglichen Tiefe. Ich höre zu, ohne zu bewerten. Und das spüren die Menschen. In mehr als 700 Potenzialanalysen habe ich erlebt: Wenn du den Menschen Raum gibst, zeigen sie dir, wer sie wirklich sind. Jeder Mensch ist spannend – du musst nur die richtigen Fragen stellen.
Debora Karsch: Was passiert nach dem Interview?
Ursula Franke: Es gibt ein kognitives Testmodul, das ich parallel auswerte. Anschließend gebe ich ein erstes Feedback, bevor ich einen ausführlichen Bericht erstelle. Dieser enthält klare Empfehlungen – auch wenn sie manchmal unbequem sind. Aber ich formuliere auch immer konstruktiv, wie jemand an bestimmten Themen arbeiten kann.
Debora Karsch: Wann lohnt sich eine Potenzialanalyse für Unternehmen besonders?
Ursula Franke: Immer dann, wenn wichtige Entscheidungen anstehen – etwa bei Nachwuchsführungskräften oder internen Wechseln. Aber auch bei Mitarbeitenden, die schon lange im Unternehmen sind und sich fragen, wie es weitergeht. Eine Potenzialanalyse ist nicht nur ein Tool – sie ist auch ein Signal: „Du bist uns wichtig. Wir investieren in deine Entwicklung.“
Debora Karsch: Was begeistert dich persönlich an deiner Arbeit?
Ursula Franke: Die Tiefe, das Vertrauen, die Erkenntnisse – und die Rückmeldungen Jahre später, wenn Menschen sagen: „Das hat mich verändert.“ Das ist sehr bewegend. Einer meiner Teilnehmer hat mir nach zwei Jahren gesagt, er hätte sich ohne diesen Impuls nie so entwickelt. Heute ist er eine anerkannte Führungskraft.
Debora Karsch: Was bringt eine Potenzialanalyse dem Unternehmen?
Ursula Franke: Klarheit. Eine objektive Einschätzung, unabhängig von interner Dynamik oder Voreingenommenheit. Unternehmen vermeiden so Fehlbesetzungen, treffen bessere Entscheidungen und fördern Talente gezielter. Gleichzeitig liefert die Analyse auch Hinweise, wo strukturell Entwicklung notwendig ist.
Debora Karsch: Wie unterscheidet sich deine Rolle in der Potenzialanalyse vom Coaching?
Ursula Franke: In der Potenzialanalyse bin ich Assessorin: Ich sammle Informationen und bewerte. Im Coaching bin ich hingegen Unterstützerin auf dem Weg des Coachees. Das sind zwei ganz unterschiedliche Rollen. Für mich ist es wichtig, diese Trennung bewusst zu halten.
Debora Karsch: Welche Kompetenzen brauchen Führungskräfte heute?
Ursula Franke: Selbstreflexion. Die Fähigkeit, mit Unsicherheit und Komplexität umzugehen. Ein gutes Gespür für sich selbst – und für andere. Und vor allem: den Mut, Konflikte nicht zu meiden, sondern zu gestalten. Führung ist heute kein Beliebtheitswettbewerb. Es geht um Haltung, Klarheit und Verantwortung.
Debora Karsch: Wenn jemand denkt: „Das möchte ich auch lernen“ – was empfiehlst du?
Ursula Franke: Man braucht psychologisches Wissen, Interviewerfahrung, ein tiefes Verständnis von Persönlichkeit – und die Fähigkeit, Verhalten richtig einzuordnen. Und ja: Es braucht Erfahrung. Das ist nicht in einem Wochenendseminar getan.
Danke für dieses bereichernde Gespräch, liebe Ursula!
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